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Die Anton Wallner Kaserne wurde 1935/36 erbaut, diente ab 1938 der Deutschen Wehrmacht als Gebäudeanlage – 1945 wurden dort amerikanische Truppen stationiert. 1946 bis 1948 wurde es von dieser als DP-Camp für jüdische Flüchtlinge genutzt.

Vor 2005 gab es keine Forschung zu diesem Thema auf lokaler oder regionaler Ebene. Das DP-Camp ist in der Saalfeldener Ortschronik nur in einem Vierzeiler erwähnt – in der Auflistung der verschiedenen Verwendung der Kaserne im Laufe der Zeit. Eine wichtige Quelle bilden die im Museum Schloss Ritzen vorhandenen Gemeindeakten der Jahre 1946-1953. Darin finden sich v. a. in Eingaben von Bauern und in den monatlichen Berichten des Bürgermeisters an die US-Militärbehörde und an die Bezirkshauptmannschaft in Zell am See Informationen zum DP-Camp aus der jeweiligen Perspektive. Z. B. finden sich in letzteren unter dem Punkt „Stimmung in der Bevölkerung“ z. T. sehr drastische Schilderungen, die den Unmut gegenüber der Besatzung und dem DP-Camp deutlich zum Ausdruck bringen. Diese Berichte sind vor diesem Hintergrund in Bezug auf die erwähnten Details mit Vorsicht zu behandeln.

Fotografische Quellen stammen zu einem erheblichen Teil von Moshe Talit, von der Hagana nach Österreich gesandt, um die jüdischen Flüchtlinge u. a. in Saalfelden auf ihr späteres Leben in Israel vorzubereiten. Er dokumentierte die verschiedenen Arbeitsbereiche im Lager aus offizieller Perspektive. Das gibt uns einen guten Überblick über die Organisation im Lager und die organisierten Aktivitäten. Darüber hinaus haben wir von vielen Interviewpartner:innen Fotos erhalten, die wesentlich persönlichere Perspektiven eröffnen.

Im Zuge der Forschungsarbeiten hatten wir Gelegenheit, insgesamt 18 Interviews zu führen. Viele schilderten uns „Erinnerungen aus zweiter Hand“ von Eltern oder älteren Geschwistern. Bei den meisten waren die Erinnerungen sehr fragmentarisch, weil in den Familien nicht viel über diese Zeit gesprochen wurde. Avraham Weiss erzählte z. B., dass der Vater nie direkt mit ihm über seine Erinnerungen gesprochen hat, er habe nur etwas mitbekommen, wenn Freunde zu Besuch waren.

Das Ziel der Flüchtenden war Palästina. An welchem Ort man sich jeweils auf dem Weg dahin befand, war zweitrangig bis unbedeutend, wie der Schilderung von Zwi Katz zu entnehmen ist. Er war zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Saalfelden 15/16 Jahre alt.

„Und ich denke, wie ist das geschehen, dass ich in Saalfelden war und dass ich diese Berge überhaupt nicht wahrgenommen habe. Ich habe sie sicher gesehen, aber ich habe sie nicht wahrgenommen. Wir waren im Transit. Das, was in der Umgebung war, dass es eine Stadt gibt – ich wusste gar nicht, dass es eine Stadt gibt – wir waren im Lager, wir waren im Transit und dachten nur daran, wie es weitergeht. […] Nach allem, was geschehen war, haben wir uns entschieden, für eine neue, selbstständige und würdige Zukunft unseres Volkes zu kämpfen. Das ist alles, was jetzt galt. Das ist Saalfelden, das ist eine schöne Natur, das alles existiert nicht, das nehmen wir nicht wahr, das alles interessiert uns nicht. Leider. Wir wissen, wir wollen weiter, wir wollen nach Italien, wir wollen über die Alpen, wir wollen an die Küste.“

Der Ort per se hatte aus der Sicht der Flüchtlinge wenig Bedeutung. Immer das Ziel Eretz Israel vor Augen, war jeder Ort eine Zwischenstation auf diesem Weg. Auch, dass sich das Leben in den verschiedenen Lagern in vielen Bereichen geähnelt haben, erschwert die Trennschärfe zwischen den verschiedenen Erinnerungen in Hinblick auf ihre örtliche Zuordnung. Die markanten Berge erleichterten für manche die Zuordnung von Erinnerungen und Fotografien. Viele schilderten den Aufenthalt in Saalfelden als einen eher kurzen. Wie in anderen Lagern wurde auch hier das Augenmerk auf die Vorbereitung auf das spätere Leben in Israel gelegt. Den Kindern sollte auch hier ein möglichst geregeltes Leben geboten werden. Schule und Kindergarten waren vorhanden. Es wurde Yiddisch und Häbräisch unterrichtet, aber auch Mathematik.

Belegt sind eine Tischlerwerkstätte und der Anbau von Gemüse zur Vorbereitung auf die landwirtschaftliche Tätigkeit in den Kibbutzims in Israel. Verschiedene Möglichkeiten an sportlichen Aktivitäten waren möglich und das gemeinsame Feiern von Feiertagen und Festen wurde gepflegt. Dies belegen auch zahlreiche Fotos.

Allein in den ersten fünf Monaten des Bestehens des Lagers wurden 34 Hochzeiten gefeiert und 5 Kinder geboren.

Erinnerungen der Saalfeldener Bevölkerung

Auf der Suche nach Interviewpartner:innen vor Ort begegneten wir mit wenigen Ausnahmen einem Nicht-Erinnern-Wollen und einem Nicht-Darüber-Sprechen-Wollen. Erinnert wurden z. B. eine tragische Liebesgeschichte, die mit der Ermordung einer Saalfeldener Familie durch einen jüdischen Flüchtling endete und einzelne Ereignisse, die sich auch in den Berichten des Bürgermeisters an die Bezirkshauptmannschaft Zell am See und die amerikanische Verwaltungsbehörde finden. Platz in der Erinnerung haben auch Geschäftsbeziehungen zwischen lokalen Betrieben oder Einzelpersonen mit jüdischen Menschen gefunden. Es wurde Tauschhandel betrieben und es gab einen regen Schwarzmarkt mit Produkten, mit denen das DP-Camp durch jüdische Fluchtorganisationen beliefert wurde. Beide Seiten beschreiben diese Beziehungen als Win-Win-Situation.

Die Flüchtlinge waren auch im Ort sichtbar. Einmal wöchentlich wurde in der Bäckerei Kelderer Brot für das Lager gebacken, Jugendliche trafen sich mit jenen des Ortes in Lokalen. Erinnerungen junger Menschen in Saalfelden und im Lager beschreiben eine glückliche Beziehung und Heirat zwischen einem Flüchtling und einer Saalfeldnerin. Sie begleitete ihren Mann nach Israel.


Standort

Fotos: Gal Talit/Nachlass Moshe Talit (3), Bildungszentrum Saalfelden/USHMM (1), Alexander Neunherz (1);
Text: Sabine Aschauer-Smolik
Quelle: Aschauer-Smolik, Sabine/Steidl, Mario (2010). Tamid Kadima - Immer vorwärts/Tamid Kadima - Heading forward. Der jüdische Exodus aus Europa von 1945-1948. Jewish Exodus out of Europe 1945-1948, Studienverlag, Innsbruck.